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25/10/2022

Der europäische Integrationsweg verläuft durch Karlsruhe und Luxemburg

von Fernando D'Aniello

Die nächsten Monate werden sehr interessant für diejenigen, die die deutsche Debatte über die europäische Integration verfolgen. In Kürze wird das Bundesverfassungsgericht sich zu zwei wichtigen europäischen Projekten äußern. Die erste Karlsruher Entscheidung betrifft das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), den Plan der Europäischen Zentralbank, der 2020 zur Bewältigung der Covid-Pandemie auf den Weg gebracht wurde. Es handelt sich hierbei um etwas ähnliches wie das Public Sector Purchase Programme (PSPP), ein Plan, den Karlsruhe bereits im Mai 2020 mit einem auf seine Weise historischen Urteil beanstandet hat: Zum ersten Mal wurde nämlich ein Rechtsakt der europäischen Institutionen vom Bundesverfassungsgericht für in Deutschland unanwendbar erklärt. Die Tragweite des Urteils wurde teilweise durch das Bundesverfassungsgericht selbst eingeschränkt, das die Möglichkeit eines nachträglichen Eingreifens der deutschen Institutionen (Bundesregierung, Bundestag und Bundesbank) zur Berichtigung des betreffenden Gesetzes einräumte, was tatsächlich Sommer 2020 geschah. Später (2021) lehnte das Gericht selbst eine Vollstreckungsmaßnahme des Urteils ab, wie sie von denjenigen Klägern beantragt worden war, die die Maßnahmen des Bundestages und der Bundesregierung für unzureichend hielten. In Bezug auf das PEPP ist es wahrscheinlich, dass das deutsche Verfassungsgericht wie in der Vergangenheit entscheiden wird, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorzulegen: Es könnte also lange dauern, bis eine endgültige Entscheidung getroffen wird.

Die andere Beschwerde betrifft den Next-Generation-Plan, bei dem es sich um den außerordentlichen Plan zur Bewältigung der Folgen der Pandemie handelt, indem den EU-Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel in Form von direkten Beiträgen oder Darlehen zur Verfügung gestellt werden. Mit dieser ebenfalls historischen Entscheidung hat sich die EU ein notwendiges Instrument zur Bewältigung der Krise an die Hand gegeben. Nach Ansicht einiger - darunter des ehemaligen Bundesfinanzministers und jetzigen Bundeskanzlers Olaf Scholz – ist der Plan ein erster Schritt in Richtung einer Fiskalunion. Der Plan sieht vor, dass die Kommission bis 2026 Kredite in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro aufnehmen kann, die dann bis 2058 zurückgezahlt werden müssen.

Gegen diese Entscheidung – genauer gesagt: gegen das deutsche Gesetz zur Ratifizierung des Eigenmittelsystems der EU – wurden zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, die Ende Juli verhandelt wurden.

In der Anhörung versuchten die Beschwerdeführer, ihre Gründe zu erläutern: Der Plan würde einen ultra-vires Akt darstellen, dazu seien die europäischen Institutionen nicht befugt und er könnte die Haushaltsautonomie des Bundestages in Frage stellen und damit die deutsche Verfassungsidentität untergraben. Kategorisch haben die Bundesregierung und der Bundestag diesen Darstellungen widersprochen: Sie wiesen unter anderem darauf hin, dass die EU-Kommission sich bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Eingriffen verschuldet hatte, wenn auch nicht in diesem Maße, und dass es außerdem verbindliche Regeln für die Nutzung der Finanzierung geben werde. Der Bundestag hielt das von den Klägern angedrohte Szenario, wonach Deutschland allein für die gesamten Schulden haften würde, für unrealistisch.

Die Positionen der Sachverständigen, insbesondere der Wirtschaftswissenschaftler, an die sich das Bundesverfassungsgericht gewandt hat, waren zurückhaltender. Die Anhörung ergab eine gewisse Zuversicht der Sachverständigen, was die Vereinbarkeit des Plans mit den deutschen Verfassungsnormen angeht. Der Plan stehe auch mit der Autonomie des Bundestages nicht in Konflikt. Die in der mündlichen Verhandlung mehrfach aufgeworfene Frage wurde jedoch von Clemens Fuest vom Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) treffend formuliert: Wenn der Plan gut ist, warum sollte er dann nicht für die nächsten Krisen wiederholt werden? Dies könnte den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, ähnliche Lösungen für unterschiedliche Krisen zu entwerfen, die finanzielle Mittel für konkrete Projekte binden, ohne vor allem die Union mit wirksamen Instrumenten auszustatten.

Es ist davon auszugehen, dass Karlsruhe im vorliegenden Fall entweder den Plan als mit der Integrationsverantwortung des Grundgesetzes vereinbar halten und die Klage abweisen wird oder ihn erneut an den EuGH schicken wird, um weitere, strengere Grenzen für die Nutzung der Ressourcen selbst und für die Kontrolle durch die europäischen und nationalen Institutionen festzulegen.

Im Fall Next Generation sowie in dem PEPP muss der EuGH erneut mit sehr präzisen Fragen des Bundesverfassungsgerichts rechnen: Um ein ähnliches Ergebnis wie 2020 zu vermeiden, wird eine andere Haltung der europäischen Richter erforderlich sein als in den letzten Jahren. Mit anderen Worten, die von Karlsruhe formulierten Ausführungen müssen stärker berücksichtigt werden: Ein Systemkonflikt kann nur von beiden Seiten entschärft werden.

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