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21/05/2020

Vigoni Spotlight: contribution by Karsten Brenner

“The contributions of the Villa Vigoni homepage, especially the contributions of the sections “European Dialogues”, “Vigoni Papers”, “Spotlight” as well as the social media of the Villa Vigoni, are usually written in German or in Italian or in English and are not translated.”

Karsten Brenner (Ministerialdirektor a. D.):

Aus den Presseartikeln zur Corona-Krise, die wir in den letzten Wochen austauschten, wurde deutlich, dass in Italien leider wieder erhebliche Deutschland-kritische Gefühle aufgekommen sind, die wir sehr ernst nehmen müssen. Auch wenn es dafür einige objektive Gründe gab – für gewisse Kreise der italienischen Politik war dies sicher ein willkommener Anlass, um nicht nur antideutsche, sondern antieuropäische Tendenzen zu befördern, und andere wollten wohl auch von eigenen politischen Versäumnissen ablenken. Die Bundesrepublik hatte für das Wiederaufleben anti-deutscher Ressentiments allerdings einen ersten Anlass gegeben: Indem wir ein quasi panikartiges Verbot des Exports medizinischer Hilfsmittel aussprachen – und das innerhalb der Europäischen Union mit ihrem so viel gepriesenen Binnenmarkt (!) –, haben wir allzu schnell die Schotten dicht gemacht nach dem Motto „Rette sich wer kann“. Man wollte der eigenen Bevölkerung dokumentieren, dass man ganz für sie da sei – bis dann die Einsicht reifte, dass die Europäer in einer solch existentiellen Krise einander grenzübergreifend beistehen müssen Dann setzte – spät aber hoffentlich nicht zu spät – große Hilfsbereitschaft ein, nicht nur Richtung Nordostfrankreich sondern auch über die Alpen hinweg. Von Bund, Ländern und Kommunen gefördert wurden humanitäre Initiativen ergriffen, sogar Intensivmedizin verfügbar gemacht - Aktionen, die ich mir von Beginn an erwünscht hatte. In solch schwieriger Zeit müssen wir Europäer noch engere Solidarität beweisen, als das schon im politischen Alltag geboten ist. Bundespräsident Steinmeier und Präsident Mattarella haben dazu die richtigen Worte gefunden.

Den Duktus der Artikels von Bernd Ulrich in der ZEIT vom 16. April 2020 „Außen kalt“ konnte ich nicht teilen. Deutschland sei „keine Nation, sondern eine Sekte“, die sich allein über den Fleiß definiere, es gewähre Italien "Schuldenerlass nur gegen Schuldeingeständnis", geknüpft an Spar- und Erziehungsmaßnahmen - das und anderes war mir allzu viel an Selbstbezichtigung und unsachlicher Argumentation, bar politischer und wirtschaftlicher Vernunft, die man gerade in einer so außergewöhnlichen Lage nicht abschalten darf, es klang und las sich mir einfach zu weltfremd und gefühlig.

Aber Gefühle sind natürlich wichtig - auch in den internationalen und ganz sicher in den innereuropäischen Beziehungen. Das muss eine gute Politik berücksichtigen, beherzigen, deshalb die zunehmenden Rufe nach deutlicheren Beweisen der Hilfsbereitschaft zugunsten unseres Partner-, ja Freundeslandes Italien im Verlaufe der Pandemie. Inzwischen hat die deutsche und hat die europäische Politik mit ersten energischen Maßnahmen ihre Solidarität mit den schwerstbetroffenen Ländern der EU unter Beweis gestellt.

Die Währungsfrage, das seit langem umstrittene Schlüsselproblem getrennter oder gemeinsamer Schuldenaufnahme im Euro-Raum, nun plötzlich inmitten der Corona-Krise zu lösen, wie Ulrich das offensichtlich erwartet, das konnte nicht gelingen. Er sollte wissen, dass die europäischen Verträge gar nicht so schnell geändert werden können, um Eurobonds ad hoc einzuführen. Der ESM dagegen steht als „fleet in being“ zur Verfügung, es war deshalb vernünftig, ihn in der jetzigen Notsituation zu nutzen – und dabei auf Auflagen zu verzichten, die die Länder, die ihn jetzt in Anspruch nehmen müssen, zusätzlich belasten und diskreditieren könnten. Und es kommen andere Unterstützungsmaßnahmen wie die der EZB und der Europäischen Investitionsbank hinzu, ferner die Förderung von Mechanismen zur Ermöglichung von Kurzarbeitergeld, das Arbeitslosigkeit von vornherein verhindern helfen kann. Deutschland hat sich auch dafür ausgesprochen, ein europäisches „Wiederaufbauprogramm“ zu erarbeiten: Sobald wir das Schlimmste der gesundheitlichen Katastrophe überwunden haben, müssen wir im Rahmen der EU eine große gemeinsame Anstrengung unternehmen, um unsere Volkswirtschaften anzukurbeln und das soziale Leben Europas wieder in Gang zu bringen –  soweit irgend möglich durch Investitionen, die in die Zukunft gerichtet sind.

Was die umstrittenen Eurobonds angeht, so bin ich seit langem dafür - grundsätzlich: Denn man kann nicht eine gemeinsame Währung schaffen, ohne dafür gemeinsam einzustehen und für Staatsschulden gemeinsam zu haften. Nur - ihre Einführung setzte eine striktere Abstimmung der Finanz- und Steuerpolitiken, teilweise auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiken, der Euro-Länder voraus, wozu viele Mitgliedstaaten und politischen Kräfte womöglich nicht bereit sind, weil sie dann ihre Handlungsspielräume eingeengt sähen. Das alles zu klären, wie auch die Chancen, Vertragsänderungen in absehbarer Zeit durchzubringen, erfordert politische Vernunft und eine gewisse Stabilität, wie sie derzeit nun wirklich nicht gegeben ist. Mit der Einführung der gemeinsamen Währung, die auch ich für geboten hielt, um den Binnenmarkt zu ergänzen und die politische Einigung voranzutreiben, hat man sich für den Weg zu einem europäischen Bundesstaat (vor)entschieden – den in seiner praktischen Konsequenz viele Entscheidungsträger nicht mitzugehen bereit sind.

Auch in Italien ist sicher mehr Ehrlichkeit vonnöten: Ist man bereit zu stärkeren Bindungen der Finanz- und Wirtschaftspolitik, die eine Vergemeinschaftung der Schuldenaufnahme voraussetzte? Aber auch der Zustand des Gesundheitswesens wird diskutiert werden, und ob der Staat die Corona-Gefährdung frühzeitig ernst genug genommen hat. Viel wichtiger aber vielleicht noch, ob der Staat nicht mehr Unterstützung der Bürger braucht und insbesondere die stärkeren Schultern mehr beitragen müssen, wenn man von den anderen Europäern mehr Solidarität erwartet.

Europapolitik braucht die Akzeptanz in allen Mitgliedstaaten der EU, wenn wir populistischen Strömungen nicht weiter Vorschub leisten wollen.

Schon im März hatte es zahlreiche private Initiativen der Hilfe für Italien gegeben, von Kälte der Berichterstattung deutscher Medien konnte meiner Erfahrung nach keinerlei Rede sein, die Anteilnahme für das Leiden und das tapfere Ausharren der Menschen vor allem in Norditalien war außerordentlich hoch. Und dennoch müssen wir Deutschen uns fragen, warum wir auf politischer Ebene recht lange brauchten zu erkennen: Covid 19, diese Pandemie, war eine Herausforderung, die Europa nur gemeinsam bestehen konnte. Und wir müssen uns vorwerfen, das nicht mit mehr „europapolitischem Herzblut" zum Ausdruck gebracht zu haben. Es ist unverständlich, wenn wir - wie andere europäische Nachbarstaaten auch - in einer so essentiellen Situation immer noch in enge nationalstaatliche Sichtweisen zurück fallen.

Da der erste Schock dieser Krise nun allmählich überwunden wird, erhalten wir noch einmal eine Chance - Europa kann den "Wiederaufbau", die dringliche wirtschaftliche und soziale Neubelebung nur gemeinsam schaffen, genauso wie es die anderen großen Fragen (Asyl, Migration; Umwelt, Energie, Klima; fairer Welthandel; Entwicklung; Sicherheit und Frieden) endlich ge- und entschlossener angehen muss. Auf die anstehenden Weichenstellungen auf globaler Ebene kann es ohnehin nur als Union nachhaltig Einfluss nehmen.

Wie das noch gelingen kann, was gemeinsam gelingen muss: In der Tat Themen zu hauf für das bilaterale und europäische Gespräch in der Villa Vigoni!