Der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Mailand, Herr Claus Robert Krumrei, antwortet auf Christiane Liermanns Beitrag im „Vigoni Paper Nr.0“.
Liebe Frau Liermann,
Ihre „Ungebetenen Betrachtungen“, die „Nummer Null“ der Vigoni Papers, zum deutsch-italienischen Verhältnis nehme ich zum Anlaß für eine unerbetene Antwort, Beweis dafür, wie anregend Ihre Gedanken sind – allerdings auch zum Kommentar reizend, wenn Sie kritischen italienischen Sichtweisen Legitimität zu geben scheinen und deutsche Mentalitätsverbesserungen anmahnen.
Ich persönlich trete ungern in die Diskussion ein, die Sie darstellen. Mir scheint es, dass sie bisher über Generationen fruchtlos verlaufen ist und dabei können wir weit zurückgehen: bis zu Luther und weit dahinter stört man sich am „andern“ und baut auf Missvergnügen leider nicht nur Differenzen, sondern auch internen Zusammenhalt und leider auch Gegnerschaften. Deutsch-italienische Frustrationen werden wir wohl immer finden. Sie sind der Preis der Verschiedenheit, die aber wiederum auch Voraussetzung für die positiven Chancen ist, die wir gleichfalls durch unsere gesamte Geschichte zurück verwirklicht sehen und gegenwärtig ja auch persönlich genießen: nur aus der Verschiedenheit wächst die Anregung und Bereicherung, die wir uns gegenseitig bieten können und dankbar annehmen.
Insofern also von mir ein Appell zur Gelassenheit: Wie sollte es denn anders sein, als dass eine sonnenbeschienene Halbinsel (und gefühlte Insel) am südlichen Rand Europas sich anders fühlt als eine regenverwöhnte, kontinental eingebettete Großlandschaft auf der anderen Seite des größten europäischen Gebirges? Finden wir uns damit ab, hier sind verschiedene, kräftig-farbige Charaktere und hier sollen sie auch sein. Auch dies geben Sie ja zu: lange Erfahrung sagt uns überreichlich, dass es unmöglich ist, andere zu ändern. Die Lösung ist wie in einer guten Ehe: den anderen als das zu schätzen, pardon, wenn möglich zu lieben, als der er ist. Muss man freilich wollen und können. Aber warum nicht ? Beide Länder sind wahrlich faszinierend genug.
Aber da mangelnde deutsche Sensibilität angesprochen ist, entkommt mir hier doch ein normalerweise im Herzen vergrabener Stoßseufzer: Es ruiniert jede, auch eine Beziehung zwischen Völkern, alte, ja uralte Fehler und Vergehen, selbst und gerade die größte Scham erregenden auch dem gereiften Partner und inzwischen seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln bei jedem Anfall schlechter Laune erneut aufs Butterbrot zu schmieren und sich darauf zu verlassen, dass der erfahrungsgemäß nicht mit gleicher Münze heimzahlt. Die Deutschen ihrerseits, denen übrigens auch nicht selten übel mitgespielt wurde, etwa den Deutschen Mailands 1915, machen das, meiner Kenntnis nach, gegenwärtig wohl nie, und benehmen sich meiner Ansicht nach schon sehr lange sehr gut. Sie anerkennen ihre Geschichte und beschönigen nichts. Sie lassen sämtliche Beleidigungen eines seit 75 Jahren demokratischen Landes einfach unbeantwortet. Sie schweigen in Bezug auf vieles in der modernen italienischen Geschichte, was die italienischen Freunde nicht angesprochen sehen möchten – und zu dieser Reife und Klugheit sollten wir beide imstande sein. Übrigens leisten beide Länder heute etwas für andere, sie sind modern und verantwortungsbewusst. Warum fallen dann manche italienische Wortführer mitunter hinter diese normale Einstellung zurück? So schlecht scheint mir die lutherische Moral doch nicht immer wegzukommen, im Vergleich.
Da sind wir dann auch bei der Kernfrage: wie lässt sich denn nun vernünftig klären, wem was an Vorwürfen zusteht zwischen Deutschland und Italien? Jeder Schlagabtausch lässt sich ja auf zwei Arten führen: griechisch-römisch oder Catching. Vor Gericht, am Verhandlungstisch oder in der Volksversammlung lassen sich beide Weisen sehen. In der intellektuellen Debatte geht es nicht um den Sieg, sondern um die Wahrheit – in der Politik hingegen geht es oft nur um den Sieg, das reine Interesse. Die politische Diskussion über europäische Coronahilfen war, milde gesagt, keine rein intellektuelle Debatte, es ging ja wohl doch um mehr als die reine Erkenntnis. Es ging schon darum, wer wen gegebenenfalls einen unsolidarischen Partner nennen dürfte – andererseits aber ums Geld. Die Geldfrage ist inzwischen grundsätzlich geklärt – und unsolidarisch, das haben wir auch geklärt, darf keiner von beiden genannt werden. Wir haben ein Musterbeispiel dafür gesehen, wie beide Methoden sich durchdrungen haben. Anders kann es ja wohl auch kaum sein.
Ich persönlich denke, will man sich dann doch mal ernsthaft mit Wahrheitsanspruch vergleichen, müsste man den Maßstab klären, der für beide gilt. Sie selbst weisen ja in diese Richtung, wenn Sie fragen: Was ist denn die geforderte Solidarität überhaupt? Von wem und für was? Was ist aber bisher öffentlich genannt an gemeinsamer deutsch-italienischer Werte-Grundlage? Bedauernswert wenig. Die von Ihnen ziemlich vollständig aufgezählten gegenseitigen Vorwürfe machen sich diese Mühe nicht, oft wird einfach nur geschimpft und geschmollt. Mein Vorschlag an die Geistesblüte der Publizisten wäre: eine deutsch-italienische Charta der Werte und Ziele. Hätten wir die, unterschrieben von intellektuellen Autoritäten, ließe sich schon ein wenig das Unkraut in der öffentlichen Missversteherei beseitigen.
Wäre das nicht auch ein Projekt für die Villa Vigoni? Verzeihen Sie die Provokation, aber ich setze frech darauf, es macht Ihnen Vergnügen.
Ihr Ihnen sehr verbundener,
Claus Krumrei
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