Prof. Dr. Dr. Alfons Fürst, Münster;
Dr. Vito Limone, Milano
Das Ideal des christlichen Lebens, das Erasmus von Rotterdam propagierte, wurde entscheidend von der Bibelauslegung und Freiheitsphilosophie des Origenes von Alexandria geprägt. Die Formung dieses Ideals wird mittels einer gemeinsamen Lektüre einschlägiger Werke aus den frühen Jahren (Enchiridion militis Christiani) bis in das Spätwerk (De vita, phrasi, docendi ratione et operibus Origenis) nachverfolgt. Dadurch wird die alternative Paulusdeutung des Origenes sichtbar, die Erasmus in die reformatorischen Kontroversen einspeiste (Annotationes in Epistolam ad Romanos). Indem er Paulus als Lehrer auffasste, der mit seinen Briefen in den rechten Gebrauch der menschlichen Willensfreiheit im Angesicht der gnädigen Güte Gottes einführt (De immensa Dei misericordia concio), entwickelte Erasmus in kritischer Rezeption des Origenes eine neuzeitliche Anthropologie, die zur Genese des modernen Bildes vom Menschen beitrug.