“Imparerai a tue spese che nel lungo tragitto della vita incontrerai tante maschere e pochi volti.”
(Luigi Pirandello)
Sie ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst, doch war bei Weitem nicht immer aus gesundheitlichen Gründen im Einsatz: die Maske. Die derzeitige Verwendung der Schutzmasken ruft zunächst unweigerlich Assoziationen an Zeiten von Pest und Cholera wach, stellt aber nur einen Teilaspekt dar.
Rituelle und schamanische Masken, die in Zeremonien indigener Völker bis heute überlebt haben; Masken des Theaters, von der antiken Tragödie über die Charaktermasken der commedia dell’arte bis hin zum Zirkusclown; Fastnachts-, Karnevals- und Faschingsmasken als unverwechselbares Alleinstellungmerkmal lokalen Brauchtums; Vermummung von Ordnungshütern und Demonstranten. Halb-, Voll-, Sprech-, Theater-, starre und Schminkmaske, zwischen religiösem und gesellschaftlichem must-have, Rollenspielelement und provokativem Modeaccessoire chargierend. So schier unergründlich die Vielfalt von Masken auch erscheint, so eint sie doch das Ziel, das eigene Gesicht – und damit die eigene Person, bzw. Persönlichkeit – verbergen zu wollen, in eine andere Rolle zu schlüpfen und so mehr Kommunikationsfreiheit zu erlangen.
Von rudimentären Zeichnungen menschlicher Gestalten mit Tierköpfen in Felsenhöhlen über Mumienvisiere in ägyptischen Grabkammern, von bunten Mosaiken antiker Tragödien, Zeichnungen von Thalia und Melpomene über reichhaltige Ölgemälde höfischer Maskenbälle, von Picassos Gesichts-Transformationen bis hin zur Instagram-Story des Venezianischen und Kölner Karnevals – ebenso vielfältig wie die Erscheinungsformen und Einsatzgebiete der Masken weltweit ist ihre Dokumentation und Überlieferung.
Die Villa Vigoni möchte deshalb in den kommenden Wochen intuitive Assoziationen und kurze Geschichten unter dem Titel Die vielfältigen Gesichter der Maske(n) präsentieren.
Mozart, Don Giovanni
“Venite pure avanti, vezzoze mascherette!” / „Kommt nur näher, charmante Masken!“
...so beginnt eines der großartigsten Quintette aller Zeiten (persönliche Meinung der Autorin). In der Oper „Don Giovanni“ sind Donna Anna, Don Ottavio und Donna Elvira maskiert und werden, ohne dass der Gastgeber ahnte, wer seine Gäste sind, von Leporello eingeladen, zu Don Giovannis Fest dazuzukommen. Wer sie sind, ist Don Giovanni ja auch egal: Sein Fest, so sagt er, ist „aperto a tutti quanti“, jedermann zugänglich! Und der große finale Triumphgesang feiert dies als „Freiheit“. “Viva la libertà”.
Seit der Uraufführung hat man alle möglichen politischen oder unpolitischen Botschaften in dieses “Viva la libertà”, „Es lebe die Freiheit!“ hineingelesen: Hatte Mozart im antifeudalen Sinne der Amerikanischen oder der Französischen Revolution die Begleitmusik geliefert? Oder ging es eigentlich um etwas ganz anderes: um moralische Subversivität, um „Freiheit“ als sexuelle Libertinage? Also nicht so sehr Thomas Jefferson, sondern eher Marquis de Sade?
Gleichwie: Während Masken dem protestantischen Kulturraum suspekt sind, gehören sie in katholisch geprägten Landen zum Selbstverständnis. Stefan Trinks beschreibt in seinem FAZ-Artikel am 11. Mai 2020 ein Altarbild von Lucas Cranach d.Ä., das in einem Menschengewimmel Martin Luthers Frau Katharina von Bora zeigt, die einen sehr auffälligen Mundschutz trägt. Trinks Artikel beginnt mit den Worten „Das Tragen einer Maske fällt den meisten von uns schwer […]“. Der Autor kann kein Rheinländer sein! Masken sind für katholisch-karnevalistisch sozialisierte Rheinländer Schutz, Freiheit, Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit unendlich zu multiplizieren: „Je est un autre“, schrieb der Dichter Arthur Rimbaud 1871 („Ich bin ein anderer“), und Masken können dabei unterstützen, ein anderer zu sein, variabel und plural. Nach dem strengen lock-down also Mozarts „Viva la libertà!“.
Tovil, Sri Lanka
Neben einer sehr reichen Theaterkultur gibt es in Sri Lanka auch einen Tovil genannten Exorzismus. Dieser besteht aus verschiedenen Ritualen. Basierend auf der Annahme, dass verschiedene Krankheiten von verschiedenen Dämonen ausgelöst werden, setzt ein Schamane im Rahmen der Rituale die Maske des Dämons auf, der für die Krankheit einer betroffenen Person verantwortlich gemacht wird. Die Masken auf den Bildern stammen aus dem Nationalmuseum in Colombo.
Candomblé, Bahia
Der Candomblé ist eine brasilianische Religion, die ihren Ursprung in Westafrika hat. Hauptanliegen des Candomblé ist es, einen direkten Kontakt, einen Austausch zwischen den Menschen und heiligen Göttergleichen Wesen, den sog. Orishas herzustellen. Ziel der mehrere Stunden andauernden Candomblé-Riten ist die Beschwörung eines oder mehrerer Heiliger, der/die von bestimmten Personen Besitz ergreifen. Im Rahmen einer Zeremonie, die aus einer exakt vorgegebenen Kombination an Farben, Speisen, Getränken, Blüten, Stoffen, (Ver-)Kleidungen und Masken besteht, wird die jeweilige Person in einen Zustand der Trance versetzt und kann so als Verkörperung "ihrer" Götterfigur als Botschafter fungieren. Zentrales Element des Rituals ist die Musik, denn erst die Kombination aus bestimmten Rhythmen und Instrumenten ermöglicht den Teilnehmenden die Identifikation mit ihrer jeweils persönlichen Gottheit und löst in ihnen den Reflex nach einem ganz bestimmten, sich steigernden Tanzschema aus.
Fotos aufgenommen während einer Studienreise des Lehrstuhls für Transcultural Music Studies (Institut für Musikwissenschaft), Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar; im Rahmen dieser Feldforschung entstand außerdem folgender Soundscape zu den Klanglandschaften Bahias: https://soundcloud.com/transmusic/soundscapes-bahia
Un ballo in maschera, Theater Erfurt 2008
Die Masken, so suggeriert es zunächst der Titel, scheinen das zentrale Element von Giuseppe Verdis Oper zu sein. Auch wenn dieser Titel dem mehrmaligen Eingreifen der Zensurbehörden geschuldet ist - das Thema des sich-hinter-Masken-Versteckens bleibt präsent: Erst die vermeintliche Anonymität während eines Maskenballs ermöglicht schließlich den finalen Königsmord (auch dieser von der Zensur als zu brisant eingestuft und daher, wie auch der Gesamtkontext, entsprechend abgewandelt).
In der Inszenierung von J. Kresnik (Theater Erfurt, 2008), der die Handlung im vom 11. September gezeichneten New York ansiedelt, wird die Masken-Thematik persifliert und ad absurdum geführt; einer vom Konsum zerfressenen US-Gesellschaft wird ein Spiegel der eigenen "Götter" vorgehalten und Mac Donalds & Co. halten Einzug. Höhepunkt sind zwei Dutzend nackte Seniorenstatisten, die lediglich mit Mickey Mouse Masken "bekleidet" u.a. die Frage nach Sinn und Zweck des Verkleidens an sich aufwerfen.
https://www.theater-erfurt.de/Programm/Alle-Stuecke/Un-ballo-in-maschera.html
https://www.cbc.ca/news/entertainment/nude-seniors-in-mickey-mouse-masks-a-provocative-night-at-the-opera-1.723736
Alessandro Biondi, Mitarbeiter der Villa Vigoni über seine persönliche Geschichte mit Masken
Im Moment sind die Schutzmasken gegen den Corona-Virus allgegenwärtig. Doch eigentlich denke ich bei dem Wort 'Maske' sofort an meine Kindheit: Dann sehe ich meinen Großvater vor mir. Er war Restaurator; ein Handwerker, der Objekte in der antiken griechischen Tradition herstellte - einer Tradition, die in der Erinnerung an seine Heimat Sizilien für ihn stets lebendig war. Es war die Heimat, die er nach dem Krieg verlassen hatte, um am Comer See eine neue Heimat zu finden. So wurden die von ihm produzierten Terrakotta-Masken, die verzierten Krüge und Miniaturskulpturen, die Gipsabdrücke und der Duft frischen Tons in seiner Werkstatt Teil meiner Kindheit. Stunden um Stunden habe ich dort verbracht, in dieser Schatzkammer voll glänzender Gegenstände, funkelnder Steine, bunter Gemälde und Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Leider habe ich sein künstlerisches Talent - wohl aus einer Laune der Natur - nicht geerbt. Zudem war ich noch recht jung, als er starb, zu jung, um zu verstehen, wie sehr er mein Leben bereichert und meine Entwicklung geprägt hat. Heute weiß ich das umso mehr zu schätzen.
Als ich in den 1970er Jahren geboren wurde, kannte man sich hier in Menaggio nicht nur mit Vornamen, sondern sogar mit Spitznamen. Die Welt war das Dorf, und der eigene Horizont endete an dessen Grenzen. Heute ist Menaggio - dieser pittoreske Ort am Ufer des Comer Sees und Heimat unserer Villa Vigoni - international und weltoffen - allezeit bereit für den touristischen Trubel - sofern gerade kein Virus grassiert. Auch ich besitze diese Offenheit, die Faszination für das 'Andere', die mich die Objekte und Geschichten meines Großvaters gelehrt haben: groteske Masken des griechischen Theaters, Marionetten für kleine Theaterstücke aus den Rittergeschichten der Zeit Karls des Großen, Erzählungen über Sizilien, dieses ferne 'Land', und das Leben am Fuße eines Vulkans. Wenn mein Großvater in seinem - für die Menschen hier in der Gegend - 'exotischen' Akzent davon berichtete, dass man in der Mittagshitze das Haus nicht verlassen und erst spät am Tage wieder seine Arbeit aufnehmen konnte, um den Tag dann mit einem sehr späten Abendessen zu beschließen (hier am Comer See schläft man dann schon längst), wurde mein Geschichtsinteresse geweckt.
Ein anderer Teil meiner persönlichen Historie ist die Geschichte meines Urgroßvaters mütterlicherseits, des Schwiegervaters meines Großvaters: Er stammte aus dem Cadore, einer von den Dolomiten umrahmten Tallandschaft in Venetien. Nachdem Italien die zwölfte Isonzoschlacht im ersten Weltkrieg (Battaglia di Caporetto; Oktober 1917) verloren hatte, musste er als junger Soldat an den Comer See flüchten. Bis vor wenigen Jahren war seine Familie hier im Dorf noch die 'Flüchtlingsfamilie'. Was er wohl darüber denken würde, dass einer seiner Urenkel nun schon seit zwanzig Jahren für die verhassten 'crucchi' - so nannten die italienischen Soldaten die deutschen Soldaten (vom kroatisch/slowenischen Wort 'kruh' für Brot) - arbeitet? Mehr noch: dass er bei einer Institution arbeitet, die eine Art Bindegliedmittel zwischen Deutschland und Italien sein möchte.
In meinem Stammbaum habe ich außerdem noch einen Urgroßvater aus Ferrara vorzuweisen, der von einem armenischen Pferdezüchter und -dresseur abstammte. Dieser Mann hieß Masilian, was später zu Mascellani italianisiert wurde. Er stand zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Dienste eines der ältesten italienischen Adelsgeschlechter, der Este. Die Vigonianer erinnern sich sicherlich an Giuseppe, der zum Teil der Familie gehört, der in der Emilia verblieben war, und viele Jahre lang an der medizinischen Tagung teilgenommen hat, die jährlich im September in der Villa stattfindet.
Auch eine Folge meiner Familiengeschichte und Resultat meiner Verbindung zum 'Land der Mythen und Masken', zu den Eroberern aus dem Norden und dem Süden, ist der Scherz, den sich die Ur-Einwohner von Menaggio seit meiner Kindheit erlauben, wenn sie mich als den 'einzig blonden Biondi' bezeichnen. Biondi ist mein Nachname. Aus Erzählungen meiner sizilianischen Verwandten weiß ich, dass dieser Name auf unsere Vorfahren aus der Normandie zurückgeht, die von den Normannen abstammten und deren Äußeres für unseren Familiennamen verantwortlich ist. Denn während mein Vater ein 'typisch' italienisches Aussehen besitzt, hätte man bei meinem Großvater auch denken können, er stamme aus dem Nahen Osten. Jeder Sizilianer hat auch ein wenig arabisches Blut, so sagt man.
Vermutlich ist es genau diese Familiengeschichte, deretwegen ich mich an einem Ort wie der Villa Vigoni so wohl fühle: Wo sich Norden und Süden am Comer See treffen und verschmelzen; in einem Ort wie Menaggio, wo sich die Einwohner eine gewisse patriarchalische Mentalität erhalten haben; wo ich zwar geboren und aufgewachsen bin, mich aber nicht ohne Stolz aufgrund meiner Wurzeln ein wenig als Flüchtling und Einwanderer fühle; wo die 'canaja' mich mit dem Spitznamen meines Vaters, Peppo, rufen. Die ganz Alteingesessenen werden 'canaja' genannt, und dieser Spitzname kommt von 'canaglie', Schurken. Nach den lokalen Erzählungen besitzt auch diese Bezeichnung einen deutsch-italienischen Hintergrund. Martin Luther soll die einheimische Bevölkerung von Menaggio so genannt haben, als er hierher kam, um in der Kirche der Heiligen Martha zu predigen. Aber kämpferische Katholiken des Dorfs bewarfen ihn mit Steinen und jagten ihn davon. Angeblich hat er ihnen ein 'canaglie' zugerufen. Von den umliegenden Gemeinden, die im Übrigen auch alle ihre Spitznamen haben, wurde diese Bezeichnung nur allzu gerne übernommen. Letztlich, so die Überlieferung, drückte sich darin das feste Glaubensbekenntnis zum Papst und zur Katholischen Kirche aus. An der Außenwand der Kirche der Heiligen Martha gibt es in der Mauer ein Wappen mit dem Wahrzeichen von Menaggio, der Burg. Als Kind bin ich des Öfteren in der Werkstatt meines Großvaters, meiner Schatzhöhle, beim Spielen über einen Gipsabdruck dieses Wappens gestolpert. Ich glaube, auch über dem Eingang des Ratssaals ist eine Kopie davon angebracht: eine Kopie in Terrakotta, die der kleine Sizilianer gemacht hat, der auch die Masken in der Tradition des antiken griechischen Theaters angefertigt hat.